Wir sind der

Osten

Tilman Steffen

Tilman Steffen ist Journalist und 1968 in Wurzen geboren, in Zittau aufgewachsen.

Geblieben: Tilman lebt heute in Berlin.

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Weshalb bist du geblieben?

Zu gehen, habe ich nie erwogen. Flucht 1989 über Ungarn? No way. Ich bin bis heute ein Mensch, der Dinge gern verändert, verbessert, optimiert. So war ich auch als Jugendlicher beseelt von dem Bedürfnis, die DDR zu verändern. Wir diskutierten, wir demonstrierten, wir verfassten Briefe an die SED-Oberen – ich schrieb Gregor Gysi meine Ideen für ein Reisegesetz – wir wollten endlich mal raus aus der DDR, aber eben auch wieder zurückkehren dürfen. Ich bin froh, geblieben zu sein. So wurde der Mauerfall zu einem unverhofften, uns unmittelbar überwältigenden Glück: Endlich frei! Nur so wurde ich einer ersten Zivis in der DDR. Ich gab den Orgelbau auf, wurde Kulturmanager und dann Journalist.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Durch Aufklärung gestalte ich Zukunft! Ich bin froh, als Journalist beruflich daran mitwirken zu können, dass totalitäre Kräfte nicht wieder erstarken. Es ist großartig, sich beruflich in alles mit Fragen einmischen zu dürfen, was einen umgibt und interessiert. Und mit den Antworten dann Aufklärung zu betreiben.

  • 1968

    Wurzen

  • 2019

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

5 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Es steckt einfach drin. In der Aufbruchsstimmung nach der Wende habe ich versucht, das ostdeutsche wegzuwischen, ein Gesamtdeutscher zu werden. Es hat nicht funktioniert. Ich bleibe Ossi, auch wenn ich mir angewöhnt habe, Plastik zu sagen, statt Plaste und viertel vor acht statt dreiviertel. In der Redaktion bin ich umgeben von Westdeutschen, ich berichte in Berlin über von Westdeutschen gemachte Politik – da hilft es, wenn man sich abgrenzen kann. Dinge anders sehen.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

„Ich sehe vieles gelassener. Das politische Spektrum ändert sich? Spannend! Viele Ostdeutsche fühlen sich nicht verstanden, nicht mitgenommen und wählen deshalb den Protest? Interessant! Warum eigentlich genau? OK, lasst uns die Leute aufklären, lasst uns diskutieren! Woran fehlt es?

Ich kann die Menschen nicht verstehen, die jetzt in panikgetriebene Abwehr verfallen und laut den Untergang der Demokratie herbeireden. Ich habe ein Regime fallen sehen. “

Was wünscht du dir für Ostdeutschland?

Mehr miteinander reden. Aufgeklärte Bürger, die nicht nur für Haus und Hof, sondern auch für die Demokratie Verantwortung übernehmen, sich beteiligen. Die andere Meinungen hören und sie auszuhalten bereit sind. Die sich keine Angst machen lassen. Ich wünsche mir, dass der Westen eines versteht: Die sogenannte Wiedervereinigung hat im Osten auch Traumata ausgelöst. Und dass wir uns im Osten gegenseitig ermuntern, sie zu überwinden.