Tobias Nolting
Tobias Nolting ist 1981 in Recklinghausen geboren und hat sich sich später für Ostdeutschland entschieden.
Status: Tobias ist Projektleiter und wohnt aktuell in Leipzig
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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?
Ich stamme aus dem nördlichen Ruhrgebiet und bin zum Studium nach Thüringen gekommen, an die Technische Universität Ilmenau. Es war eine ganz bewusste Entscheidung, da mein Studiengang in dieser Form nirgendwo anders in Deutschland angeboten wurde. Außerdem hatte ich viel Positives über die gute Ausstattung und die hervorragenden Studienbedingungen an der „kleinen, aber feinen“ Hochschule gelesen. Und meine Erwartungen sind in keiner Weise enttäuscht worden! Ich habe viele tolle Menschen und Orte kennengelernt, die ich nicht missen möchte. Unter anderem auch meine heutige Wahlheimat Leipzig, wo ich inzwischen mit meiner Familie zuhause bin und mich rundum wohl fühle.
Wie gestaltest du die Zukunft?
Als Projektleiter für Regionalmarketing beschäftige ich mich intensiv mit der Entwicklung des ländlichen Raumes im Freistaat Sachsen. Die Frage ist: Wie können wir das Leben in den Dörfern und Kleinstädten für die Menschen attraktiv(er) gestalten? Dazu entwickeln wir Konzepte, führen Analysen durch oder moderieren Zukunftswerkstätten. In dem Zusammenhang spielen auch Themen, wie die Digitale Transformation oder der Strukturwandel eine wichtige Rolle. Ehrenamtlich setze ich mich insbesondere mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ intensiv auseinander: Von Projekten der Initiative „Plant-for-the-Planet“ über Aktivitäten der Lokalen Agenda 21 bis zur Mitgliedschaft in der Zukunftsakademie Leipzig.
Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?
Fühlst du dich ostdeutsch?
Ich fühle mich weder west- noch ostdeutsch, allenfalls gesamtdeutsch. Ich habe in Groß- und Kleinstädten in Westfalen, im Thüringer Wald, im Rheinland, in der Rhein-Neckar-Region und in Mitteldeutschland gelebt. Ich selbst bin gebürtiger „Wessi“, meine Frau stammt aus dem Osten und unsere Kinder sind waschechte „Wossis“ – geboren in Mannheim, zuhause in Leipzig. Und am Ende des Tages sind wir alle in erster Linie Europäer!
Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?
Anfang der 2000er war man immer noch ein ziemlicher Exot, wenn man „tief im Westen“ großgeworden ist und dann freiwillig nach „Dunkeldeutschland“ zog. Das hat im Freundeskreis schon für Stirnrunzeln gesorgt. Meine Familie war da zum Glück deutlich aufgeschlossener: Mein älterer Bruder ist bereits kurz nach der Wende zum Studium nach Jena gezogen und ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher den Sommerurlaub im Spreewald verbracht habe. Das rechne ich meinen Eltern bis heute hoch an! Oft habe ich den Eindruck, dass gerade aus dieser Generation viele Westdeutsche schon zigmal auf Mallorca oder in der Toskana gewesen sind, aber kein einziges Mal auf Rügen oder in der Sächsischen Schweiz …
Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?
Es ist sicher diskussionsbedürftig, dass nach der Wende viele Führungsposten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sehr einseitig mit westdeutschem Personal besetzt wurden. Problematisch ist, dass sich Eliten immer wieder zu einem Großteil aus sich selbst heraus rekrutieren. Das führt in der Folge zu einer strukturellen Benachteiligung anderer Gruppen, die nur schwer aufzubrechen ist. Solche Missstände muss man klar benennen und versuchen zu beheben. Das ist mühsam und gelingt sicher nicht von heute auf morgen. Es ist zweifellos noch ein weiter Weg, bis in Deutschland alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen in Leitungspositionen repräsentiert sein werden.
Was hast du in Ostdeutschland gelernt?
Mich persönlich haben von Beginn an die Freiräume begeistert: Einfach anpacken, mitmachen und mitgestalten zu können. Auch sind die Ostdeutschen meiner Erfahrung nach viel toleranter, liberaler und weltoffener, als ihnen gemeinhin zugeschrieben wird. Es gibt außer einem beeindruckenden kulturellen Erbe auch unglaublich viel kreatives und innovatives Potenzial für die Zukunft. Der Strukturwandel ist vielerorts in vollem Gange und bietet enorme Chancen, um sich mit pfiffigen Ideen noch einmal ein Stück weit neu zu erfinden. Auf diese Dynamik sollten wir viel stärker die öffentliche Wahrnehmung lenken. Es gibt noch viele (große und kleine) Erfolgsgeschichten, die es lohnen erzählt zu werden!
Was wünscht du dir für Ostdeutschland?
In erster Linie mehr Optimismus und Selbstbewusstsein. Der Osten hat alle Voraussetzungen, um eine zentrale Rolle als Drehscheibe im Herzen Europas einzunehmen. Uns allen wünsche ich den Mut, mehr Vielfalt in unserem Alltag zuzulassen. Auch hoffe ich, dass wir die vielen unsäglichen Stereotype und Klischees hinter uns lassen: Es gibt eben nicht nur Schwarz und Weiß, nicht nur sozialistische Misswirtschaft und blühende Landschaften, nicht nur „Besser-Wessis“ und „Jammer-Ossis“. Auch mit der neuen Ostalgie kann ich nur wenig anfangen. Wir sollten mehr danach schauen, was uns eint, als was uns trennt. Wir brauchen eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur und eine gemeinsame Vision für die Zukunft!