Wir sind der

Osten

Torsten Menzel

Torsten Menzel ist Koordinator bei ver.di und 1986 in Meißen geboren.

Gegangen: Torsten lebt heute in Berlin.

Foto: Jelka von Langen

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Weshalb bist du gegangen?

Ich bin gegangen und doch nicht gegangen; ich bin zurückgekehrt und doch nicht zurückgekehrt. Nach einem Jahr in Frankreich (und somit im Westen) hatte ich schon mit 19 das Gefühl, nun die „eigene“, östliche, Hälfte Europas entdecken zu müssen. Also führte mich mein Studium nach Chemnitz und Warschau. Es folgte weitere Unizeit in Oxford und einige Jahre des Arbeits- und Familienlebens in Berlin. Letztlich war es die gesellschaftliche Situation in Sachsen und meine Arbeit für Teach First Deutschland, die mich motiviert haben, zurückzukehren – allerdings als Pendler. Komplett zurückkehren konnte ich nicht, denn der Alltagsrassismus verhindert, dass meine Familie in Sachsen gut leben könnte. Auch deswegen bin ich nun zurück in Berlin.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich arbeite für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Wir tragen als Gewerkschaft dazu bei, dass Menschen Guten Lohn für Gute Arbeit erhalten und als gewerkschaftlich organisierte Menschen demokratische Selbstwirksamkeit erfahren. Beides halte ich insbesondere in Ostdeutschland für wichtig. Ich bringe meine Fähigkeiten gesellschaftlich ein, übernehme Verantwortung und entscheide mit. Ich erzähle im Beruflichen wie im Privaten bewusst die Geschichten Sachsens und Ostdeutschlands, damit sich mehr Menschen über die Besonderheiten – insbesondere der 3ten Generation Ostdeutschland – bewusst werden.

  • 1986

    Meißen

  • Fréjus

  • Chemnitz

  • Warschau

  • Oxford

  • Berlin

  • Dresden

  • Heute

    Berlin

Glaubst du, deine Wende-Erfahrung bzw. die Wende-Erfahrung deiner Familie hat dich auch für den Digitalen Wandel gewappnet?

4 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich Ostdeutsch?

Mein Erfahrungsschatz ist ostdeutsch. Was ich in meiner Kindheit und Jugend in meiner Stadt und in meiner Familie erlebt habe – das waren Erfahrungen, die es in dieser Zeit so nur in diesem Landstrich zwischen Ostsee und Erzgebirge geben konnte. Das Gefühl und das Bewusstsein entstanden aber erst, als ich Ostdeutschland verließ. Im Austausch mit Menschen aus ganz Deutschland und ganz Europa; durch ihre Fragen und meine Erzählungen, die den polnischen Geschichten häufig ähnlicher waren als den französischen. Heute identifiziere ich mich mit dieser Region und möchte zu ihrer guten Entwicklung beitragen.

Wie beeinflusst dich deine ostdeutsche Herkunft?

Ich bin kein Freund der Übertreibung, aber um zuzuspitzen versuche ich es mit ein paar extremen Begriffen: Der Osten ist proletarischer, ärmer, sparsamer und bescheidener. Er weiß genauer um Unsicherheiten. Er ist geduldiger. Er wird erst nach und nach selbstbewusst. Der Osten ist eher kollektiv als individuell, er ist ein Gleichmacher, er beobachtet genauer und liest stärker zwischen den Zeilen. All das hat auch mich persönlich geprägt – privat wie beruflich.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Offenheit: unvoreingenommener miteinander reden, weniger Angst haben. Aus den guten und schlechten Erfahrungen des Ostens gemeinsame und persönliche Stärken ziehen.