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Osten

Trendela Braun

Trendela Braun

Trendela Braun ist 1982 in Hannover geboren und später nach Ostdeutschland gezogen.

Rübergemacht: Trendela wohnt aktuell in Leipzig, wo sie als Projektmanagerin arbeitet.

Foto: Michael Bader

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Weshalb hast du in den Osten rübergemacht?

Ich habe mich in Leipzig als angehende Studentin verliebt. Beim Eichhörnchen-Füttern im Clara-Zetkin-Park. Beim Blick vom rümpeligen Dach eines alten Stalin-Baus auf die Stadt. Auf den großen, leeren Magistralen. In meiner Heimatstadt Hannover hatten die Dinge ihren Platz, hier in Leipzig war alles in Bewegung. Es gab viele Zwischenräume, Brachen, Raum zum Experimentieren. Und Menschen, die genau darauf Lust hatten. Zum Beispiel ich als angehende Studentin. Darum bin ich nach Leipzig gezogen und bis heute liebend gern geblieben.

Wie gestaltest du die Zukunft?

Ich arbeite in einer Bürgerstiftung, die sich für eine lebenswerte Stadtgesellschaft engagiert, für Chancengleichheit und den Ausgleich von Bildungsbenachteiligung. Konkret vermittle ich Bildungspatenschaften: Bürgerinnen und Bürger betreuen je zwei Kinder mit schwierigen Startbedingungen für ein Schuljahr. Sie entdecken gemeinsam die Stadt als Lebensraum und ihre Arbeitswelt: schauen beim Bäcker über die Schulter, klettern auf den Rathausturm oder löten Roboter. Viele Kinder haben einen weltweiten Hintergrund, die meisten unserer Ehrenamtlichen leben schon lange hier. Sie entwickeln Verständnis für unterschiedlichen Lebenswelten, bekommen neue Impulse und schließen Freundschaften.

  • 1982

    Hannover

  • Heute

    Leipzig

Glaubst du, Menschen in Ostdeutschland können besser mit Veränderungen bzw. Wandel umgehen?

3 von 5
Stimme gar nicht zu
Stimme voll und ganz zu

Fühlst du dich ostdeutsch?

Nein. Als ich nach Leipzig kam, habe ich Eigenschaften an Menschen bemerkt, die ich so nicht kannte. Zum Beispiel eine unvermittelte Offenheit und Nähe im Gespräch. Es wurde wenig abgewartet, sondern ging gleich ums Wesentliche. Später habe ich auch andere Seiten kennengelernt, z. Bsp. eine gewisse Bescheidenheit vieler Menschen, bis hin zum Zurücknehmen der eigenen Person zugunsten der Sache. Und dann immer wieder die schon oben angesprochene Experimentierfreude, die Bereitschaft Zwischenräume auszuloten und neue Wege zu entwickeln. Ich erlebe mich als einen Menschen in einer zusammenwachsenden Welt. Ein Mensch mit starken Zuflüssen aus allen möglichen Richtungen; Ost, West, Nord, Süd.

Welche Erfahrungen hast du in Ostdeutschland gemacht?

Viele – ich habe bald die Hälfte meines Lebens hier verbracht.

Glaubst du, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile?

Die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Vereinnahmung von Liegenschaften, Betrieben usw. war ganz klar ein westdeutscher Vorteil. Dazu gehörten nicht nur Geld, sondern auch die Fähigkeit, wirtschaftlich geschickt zu agieren, und das entsprechende Geschäftsgebaren und Auftreten. In Westdeutschland gab es eine ganz andere Kontinuität, einen Systemwechsel weniger. Ob das ein Vorteil ist auf lange Sicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber zunächst mal ist in Westdeutschland von vielem mehr da: Gewissheit, Vertrauen in die Demokratie und Zukunft, Selbstbewusstsein, lebendige Kulturgüter und Traditionen, Besitztümer, überschüssige Ressourcen.

Was hast du in Ostdeutschland gelernt?

Mich hat es nicht ohne Grund hierher gezogen. Das Unfertige, sich neu Sortierende, die pulsierende Kreativität fand ich schon bei Besuchen als Teenager spannend. Das Gebrochene, Frustrierte, Wütende, was da ja auch noch war und ist, habe ich erst viel später wahrgenommen. Essentiell sind die Freundschaften hier. Das gemeinsame Ausprobieren, Erleben und Tun. Das ist wahrscheinlich überall auf der Welt wichtig, aber ich empfinde die freundschaftlichen Verbindungen hier als besonders präsent. Ich bin Mal gebürtige Westdeutsche im Osten, die ihr Umfeld beobachtet. Mal eine in Ostdeutschland Lebende, die in die Medien schaut und denkt: krass, der Osten, gilt immer noch als was Exotisches.

Was wünschst du dir für Ostdeutschland?

Wer gilt denn eigentlich als westdeutsch? Es sind so viele Menschen mit guter Ausbildung, Ideen und Power nach dem Krieg, zu DDR-Zeiten und nach der Wende aus den jetzigen neuen Bundesländern geflohen und weggegangen. Dieser Schwund an Potential, der dann logischerweise an anderer Stelle dazugekommen ist, ist ein superwichtiger Faktor. Ich wünsche mir für Ostdeutschland, dass weiterhin und immer wieder richtig viel tolles Potential dazu kommt. Sei es, weil hier tolle Menschen geboren werden und aufwachsen und sich entfalten können. Sei es, weil tolle Menschen von überall her hierher kommen, sich hier einleben und entfalten können und wir alle richtig gute Sachen zusammen entwickeln.