Was blüht denn da? Über Gründertum in Ostdeutschland
Wie gründet man eigentlich im ländlichen Osten? Um diese Frage ging es bei unserer Session auf dem Überland-Festival in Görlitz. Unser Eventmanager Tobias Kremkau hat gemeinsam mit spannenden Gründer*innen über die Hürden und Vorteile diskutiert und war von den Projekten begeistert. Eingeladen hatte Andreas Willisch von den Neulandgewinnern in Kooperation mit der Bosch-Stiftung. In dem Text stellt Tobias die Gäste des Panels vor.
Alles fing mit einem Garten an
Einer der Gäste war Klaus Hirrich, der von Anfang an dabei war, als sich nach der Wende im mecklenburgischen Ganzlin mehr und mehr Menschen aus der Region zusammengetaten, um aus einer naturbelassenen Krautfläche den größten Kräutergarten Mecklenburgs anzulegen. Mehr als 900 Pflanzenarten und -sorten hat der Ort, der heute als Wangeliner Garten bekannt ist. In den vergangenen 30 Jahren haben sich um ihn viele Projekte entwickelt, die bis heute die Region positiv prägen.
Mit dem Garten wurde ein Grundstein dafür gelegt, dass Menschen in der Region blieben oder gar hingezogen sind. Ost-West-Klischees wurden abgelegt. Neben wirtschaftlich agierenden Projekten wie einem Café mit Übernachtungsmöglichkeiten und einer Mosterei, entstand hier u.a. auch die Europäische Bildungsstätte für Lehmbau.
Räume zum Lernen
Neue Lernorte schafft hat auch unser zweiter Gast auf dem Panel geschaffen: Hochschulgründer und Autor Prof. Cyrus Khazaeli, der gemeinsam mit seiner Frau den ProjektRaum Drahnsdorf in Brandenburg gegründet hat. Seit 2012 realisieren die beiden Eheleute einen vor allem naturnahen und dabei inspirierenden Ort für Seminare, Retreats, Events und verschiedene Projekte. Auf diese Weise möchten sie u.a. neue, kreative Formen des Wirtschaftens und Zusammenarbeitens schaffen.
Auch der ProjektRaum Drahnsdorf arbeitet daran, die Möglichkeiten einer neuen, nachhaltigen und kreativen Lebensweise auszuprobieren und modellhafte Lösungen für zukünftige „Gestaltungsfelder“ sichtbar zu machen. Es ist einer von vielen Orten in der ostdeutschen Provinz, der Leerstand gerettet und entwickelt hat. Dabei macht er inhaltlich den Menschen vor Ort das Angebot, sich mit der Gestaltung des eigenen Lebens im ländlichen Raum Ostdeutschlands zu beschäftigen. Diese Orte machen Hoffnung.
Spielend vernetzen
Das jüngste Projekt in der Runde präsentierte uns Maike Steuer aus dem thüringischen Altenburg. Nach beruflichen Stationen als Journalistin und Café-Betreiberin in Köln, Indien und Leipzig, ging sie im Sommer 2018 zurück nach Altenburg, wo sie aufgewachsen ist. Inspiriert durch das Projekt Stadtmensch, hat sie ein Blog für positive Nachrichten aus der Region, das Altenburger Landleben, und ein mobiles Spielecafé gegründet, das Menschen zum Spielen animiert.
Maike öffnet das mobile Spielecafé mit ihren beiden Mitgründerinnen regelmäßig an familienfreundlichen wie ungewöhnlichen Orten in Altenburg und in der Umgebung der berühmten Skatstadt. Das Spielen werde den Menschen hier schon in die Wiege gelegt, sagt sie. Es sei eine Gemeinsamkeit der Menschen in der Region, die sie miteinander verbunden hat – auch in schweren Zeiten. Darüber und über alles, was einen heute beschäftigt, könne man am Spielebrett, bei Kaffee und Kuchen, nun gemeinsam ins Gespräch kommen.
Der Osten ist bunt(er)
Vor 30 Jahren wurden Ostdeutschland von Altkanzler Kohl blühende Landschaften versprochen. Oft hat es für nicht mehr als beleuchtete Wiesen gereicht. Und auch heutzutage gehören immer noch Leerstand, Industrieruinen und das, was einmal war, zum Ortsbild vieler Gemeinden in den östlichen Bundesländern. Doch vielerorts haben neue Ideen entwickeln und umgesetzt. Sie haben die Freiräume, die mit der Transformation einhergingen, für sich genutzt.
Noch heute schaffen viele Menschen in den Gemeinden neue Räume. So wie Klaus, Cyrus und Maike, die mit uns über ihre Gründungserfahrungen auf dem Panel in Görlitz sprachen. Und sie sind nicht alleine damit. Von Rügen bis ins Erzgebirge, von der Oder bis in den Harz, sind Projekte in Regionen entstanden, die die Politik, mal offener und mal heimlich, schon aufgegeben hatten. Diese Macherinnen und Macher zeigen, dass Ostdeutschland anders und bunter ist, als viele denken.