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Gründen in Ostdeutschland – welche Hürden und Chancen gibt es? Und was wurde aus dem Gründer-Boom in den 1990ern? Darüber haben wir bei #thefutureiseast mit dem Rostocker Bürgermeister Claus Ruhe Madsen, Marco Scheel von Nordwolle und Maria Piechnick von Wandelbots diskutiert.

Es ist gerade einmal 30 Jahre her, da gab es noch Planwirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern. Nach der Wende folgte ein Gründerboom, der im Jahr 2005 seinen Peak hatte. Doch abgesehen von Berlin und Brandenburg sind Neugründungen von Unternehmen in Ostdeutschland zuletzt seltener geworden. Woran das liegt und wie man das ändern kann, hat #wirsindderosten-Initiatorin Melanie Stein bei unserer Eventreihe „The Future Is East“ via Instagram Live mit den Gästen Claus Ruhe Madsen (Oberbürgermeister von Rostock), Maria Piechnick (Gründerin Wandelbots) und Marco Scheel (Gründer Nordwolle) diskutiert.

Bürokratische Hürden und fehlendes Vertrauen

Egal ob Ost oder West: Mit bürokratischen Hürden haben viele zu kämpfen. Der Rostocker OB Claus Ruhe Madsen erzählte gleich zu Beginn des Talks, dass er als Unternehmer immer den Eindruck hatte, die Verwaltung arbeite gegen ihn. Seit er Oberbürgermeister ist, habe er verstanden, dass die Prozesse einfach sehr lange dauern. „Wir müssen Gesetze schaffen, die bürgerfreundlicher sind. […] Die Welt von morgen muss deutlich einfacher sein als die Welt von gestern“, sagte er. Madsen arbeitete vor seiner Karriere in der Politik für ein Möbelhaus und gründete ein Unternehmen, das Wohnmobile vermietet. 2019 wurde er zum parteilosen Oberbürgermeister von Rostock gewählt.

Unternehmer Marco Scheel kann von bürokratischen Hürden ein Lied singen. Der von der Insel Rügen stammende Gründer stellt mit seinem Unternehmen Nordwolle nachhaltig produzierte Funktionskleidung aus der Wolle von gefährdeten Landschafrassen her. Ein Videoclip, der Scheel als Protagonisten in der NDR Nordreportage zeigt, ging im Internet viral. Darin machte er seinem Frust über Behörden Luft, die ihm die Umnutzung eines alten Kuhstalls zur Produktionshalle schwer machen. Im Gespräch sagte Scheel, er habe versucht, auf die „irrsinnige Politik“ hinter den Vorgängen aufmerksam zu machen: „Die Verwaltung redet davon, dass sie nur die Gesetze durchsetzt, aber meiner Meinung nach irrt der politische Wille hinter dem Gesetz.“

Mit derartigen Hürden hatte die Dresdner Gründerin Maria Piechnick nicht zu kämpfen. Während ihres Studiums der Medieninformatik entdeckte sie gemeinsam mit Freunden das Thema Robotics für sich und gründete das Unternehmen Wandelbots, das die Programmierung von Robotern für jede*n auf intuitive Art ermöglichen soll. Schnell hatte sich auch ein Investor aus Berlin für die Finanzierung gefunden. Bis heute sei es jedoch schwierig, das nötige Vertrauen der alteingesessenen Industrie für das junge Startup zu gewinnen, sagte Piechnick: „Hier muss sich in Deutschland das Mindset noch dahingehend ändern, auch mal ein Risiko einzugehen und zu sagen, ‚Wir vertrauen euch und gehen diesen Weg mit euch’“.

„Die Politik sollte den Menschen in Ostdeutschland helfen, Vermögen aufzubauen.“

Mit Blick auf Ostdeutschland ergeben sich noch einmal besondere Herausforderungen. So berichtete Marco Scheel: „Ich glaube, wenn man in Ostdeutschland geboren ist, gibt es nicht nur finanzielle, sondern auch Mindset-Hürden.“ Er selbst stamme aus einem Arbeiterhaushalt. Seine Elten hatten ihm geraten, nach dem Studium einen festen Job anzunehmen und „das mit den Pullovern mal besser zu lassen“. Den nötigen Schubser und auch das Startkapital erhielt Scheel von seinen westdeutschen Schwiegereltern. „Das Kapital ist immer noch sehr ungleich verteilt. Die Politik sollte den Menschen in Ostdeutschland helfen Vermögen aufzubauen“, so Scheel.

Maria Piechnick sieht in ihrer ostdeutschen Herkunft vor allem Vorteile: „Man hat einen tollen Background in Ostdeutschland, man bekommt hier Unterstützung“, sagte sie.

Der Wunsch nach mehr „Du schaffst das schon!“

Was sich die Gäste für die Zukunft der Gründerszene in Ostdeutschland wünschten?
Madsen erhoffe sich den Mut, dass motivierte junge Menschen vor einer Neugründung den Kontakt zu alten Unternehmen aufnehmen: „Es wäre traurig, wenn wir eine Firma gründen und hinten machen zwei zu.“Piechnick forderte mehr Akzeptanz und Unterstützung für Gründertum in Ostdeutschland. „Aus meinem Umfeld kommt immer noch oft die Frage: Willst du das wirklich? Es wäre schön eher mal zu sagen: Du schaffst das schon!“, sagte sie.

Scheel wünschte allen Neugründer*innen die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen und sich komplett auf ihr Produkt oder ihre Dienstleistung zu konzentrieren.

„The Future is East“ fand zum vierten Mal statt. Wir planen, die Event-Reihe auch bald wieder vor Ort fortzusetzen.

Gründen in Ostdeutschland – welche Hürden und Chancen gibt es? Und was wurde aus dem Gründer-Boom in den 1990ern? Darüber haben wir bei #thefutureiseast mit dem Rostocker Bürgermeister Claus Ruhe Madsen, Marco Scheel von Nordwolle und Maria Piechnick von Wandelbots diskutiert.

Es ist gerade einmal 30 Jahre her, da gab es noch Planwirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern. Nach der Wende folgte ein Gründerboom, der im Jahr 2005 seinen Peak hatte. Doch abgesehen von Berlin und Brandenburg sind Neugründungen von Unternehmen in Ostdeutschland zuletzt seltener geworden. Woran das liegt und wie man das ändern kann, hat #wirsindderosten-Initiatorin Melanie Stein bei unserer Eventreihe „The Future Is East“ via Instagram Live mit den Gästen Claus Ruhe Madsen (Oberbürgermeister von Rostock), Maria Piechnick (Gründerin Wandelbots) und Marco Scheel (Gründer Nordwolle) diskutiert.

Bürokratische Hürden und fehlendes Vertrauen

Egal ob Ost oder West: Mit bürokratischen Hürden haben viele zu kämpfen. Der Rostocker OB Claus Ruhe Madsen erzählte gleich zu Beginn des Talks, dass er als Unternehmer immer den Eindruck hatte, die Verwaltung arbeite gegen ihn. Seit er Oberbürgermeister ist, habe er verstanden, dass die Prozesse einfach sehr lange dauern. „Wir müssen Gesetze schaffen, die bürgerfreundlicher sind. […] Die Welt von morgen muss deutlich einfacher sein als die Welt von gestern“, sagte er. Madsen arbeitete vor seiner Karriere in der Politik für ein Möbelhaus und gründete ein Unternehmen, das Wohnmobile vermietet. 2019 wurde er zum parteilosen Oberbürgermeister von Rostock gewählt.

Unternehmer Marco Scheel kann von bürokratischen Hürden ein Lied singen. Der von der Insel Rügen stammende Gründer stellt mit seinem Unternehmen Nordwolle nachhaltig produzierte Funktionskleidung aus der Wolle von gefährdeten Landschafrassen her. Ein Videoclip, der Scheel als Protagonisten in der NDR Nordreportage zeigt, ging im Internet viral. Darin machte er seinem Frust über Behörden Luft, die ihm die Umnutzung eines alten Kuhstalls zur Produktionshalle schwer machen. Im Gespräch sagte Scheel, er habe versucht, auf die „irrsinnige Politik“ hinter den Vorgängen aufmerksam zu machen: „Die Verwaltung redet davon, dass sie nur die Gesetze durchsetzt, aber meiner Meinung nach irrt der politische Wille hinter dem Gesetz.“

Mit derartigen Hürden hatte die Dresdner Gründerin Maria Piechnick nicht zu kämpfen. Während ihres Studiums der Medieninformatik entdeckte sie gemeinsam mit Freunden das Thema Robotics für sich und gründete das Unternehmen Wandelbots, das die Programmierung von Robotern für jede*n auf intuitive Art ermöglichen soll. Schnell hatte sich auch ein Investor aus Berlin für die Finanzierung gefunden. Bis heute sei es jedoch schwierig, das nötige Vertrauen der alteingesessenen Industrie für das junge Startup zu gewinnen, sagte Piechnick: „Hier muss sich in Deutschland das Mindset noch dahingehend ändern, auch mal ein Risiko einzugehen und zu sagen, ‚Wir vertrauen euch und gehen diesen Weg mit euch’“.

„Die Politik sollte den Menschen in Ostdeutschland helfen, Vermögen aufzubauen.“

Mit Blick auf Ostdeutschland ergeben sich noch einmal besondere Herausforderungen. So berichtete Marco Scheel: „Ich glaube, wenn man in Ostdeutschland geboren ist, gibt es nicht nur finanzielle, sondern auch Mindset-Hürden.“ Er selbst stamme aus einem Arbeiterhaushalt. Seine Elten hatten ihm geraten, nach dem Studium einen festen Job anzunehmen und „das mit den Pullovern mal besser zu lassen“. Den nötigen Schubser und auch das Startkapital erhielt Scheel von seinen westdeutschen Schwiegereltern. „Das Kapital ist immer noch sehr ungleich verteilt. Die Politik sollte den Menschen in Ostdeutschland helfen Vermögen aufzubauen“, so Scheel.

Maria Piechnick sieht in ihrer ostdeutschen Herkunft vor allem Vorteile: „Man hat einen tollen Background in Ostdeutschland, man bekommt hier Unterstützung“, sagte sie.

Der Wunsch nach mehr „Du schaffst das schon!“

Was sich die Gäste für die Zukunft der Gründerszene in Ostdeutschland wünschten?
Madsen erhoffe sich den Mut, dass motivierte junge Menschen vor einer Neugründung den Kontakt zu alten Unternehmen aufnehmen: „Es wäre traurig, wenn wir eine Firma gründen und hinten machen zwei zu.“Piechnick forderte mehr Akzeptanz und Unterstützung für Gründertum in Ostdeutschland. „Aus meinem Umfeld kommt immer noch oft die Frage: Willst du das wirklich? Es wäre schön eher mal zu sagen: Du schaffst das schon!“, sagte sie.

Scheel wünschte allen Neugründer*innen die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen und sich komplett auf ihr Produkt oder ihre Dienstleistung zu konzentrieren.

„The Future is East“ fand zum vierten Mal statt. Wir planen, die Event-Reihe auch bald wieder vor Ort fortzusetzen.

Wir haben wirsinderosten.de um eine neue Rubrik ergänzt: #rübergemacht. Denn in unserem Bild von Ostdeutschland hat noch eine Gruppe gefehlt: Menschen, die in Westdeutschland oder im Ausland aufgewachsen sind und in den östlichen Bundesländern ihre Heimat gefunden haben. Auch sie gestalten die Zukunft positiv. Auch sie sind der Osten. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung erzählen sie ihre Geschichten. Aber fühlen sie sich auch ostdeutsch?

Diese Frage hat #wirsindderosten-Initiatorin Melanie Stein beim Auftakt am 4. August gemeinsam mit Bodo Ramelow (Ministerpräsident Thüringen), Kai Diekmann (Ex-Bild-Chef & Unternehmer), Jessy James LaFleur (Spoken Word Artist), Juliane Stückrad (Ethnografin) und Josa Mania-Schlegel (Journalist) diskutiert. Es ging hoch her. Hier könnt ihr euch die Debatte auf Youtube anschauen:

Fast ein Viertel aller #rübergemacht Teilnehmenden fühlt sich ostdeutsch

Seit 1990 lebt Bodo Ramelow, der in Niedersachsen geboren wurde, in Thüringen und setzt sich für Ostdeutschland ein. Erst als Gewerkschaftler, später als Politiker. Er ist der erste Ministerpräsident, den die Linkspartei gestellt hat. Und er fordert mehr Beachtung für Ostdeutschland. Aber fühlt er sich ostdeutsch? “Nein”, sagte Ramelow auf dem Online-Panel, “Ich fühle mich nicht ostdeutsch, mir fehlt die DDR-Erfahrung.” Er habe sehr viel hinterfragen müssen, um überhaupt verstehen zu können, “wie hier Probleme entstehen und wie sie zu lösen sind.”

Kai Diekmann, gebürtiger Bielefelder und seit 2007 Wahlpotsdamer, hatte zwar auf Twitter geschrieben: “I love to be an Ossi!” Doch so wie in seinem #rübergemacht-Profil sagte er auch an dem Abend, dass er sich nicht ostdeutsch fühlt. “Unser Umzug war eine bewusste Entscheidung für Potsdam ­­­­­- nicht für Brandenburg”, erklärte Diekmann. “Wir haben uns in die Architektur verliebt, das viele Wasser.” Und: “Ich hatte nicht das Gefühl, in Bielefeld, in Hamburg noch groß mitgestalten zu können. In Potsdam schon.”

Die Gründe dafür, dass viele Menschen nach Ostdeutschland gezogen sind, sind vielfältig. Mehr als 100 Menschen erzählen ihre individuelle Geschichte. Anders als Diekmann geben 23 Prozent der Befragten Menschen an, sich (auch) ostdeutsch zu fühlen.

Die Jüngste ist 25, der Älteste 81 Jahre alt. Sie sind Studierende, Unternehmerinnen, Künstler, Landwirte, Hochschulprofessoren, Gastronominnen und viele mehr, die auf dem Land oder in der Stadt leben. Zu ihnen gehören der Musiker und Kabarettist Rainald Grebe, Fußballnationalspielerin Johanna Elsig, der Fotograf Ben de Biel und die Autorin, Aktivistin und Festivalveranstalterin Birgit Lohmeyer.

 

„Westdeutsche sollten anfangen zu sagen: ‚Ich bin Westdeutscher, ich bin privilegiert‘.

Beim Auftaktpanel ging es vor allem um die Frage, was eine ostdeutsche Identität ausmacht. Aus wissenschaftlicher Sicht bleibe diese mit der DDR verbunden, sagte Volkskundlerin Juliane Stückrad: “Diktaturerfahrungen prägen bis heute die Erinnerungskultur.”

Laut Jessy James LaFleur aus Ostbelgien präge das selbst die Nachwendegeneration, denn viele Menschen Anfang 20 hätten mitbekommen, dass ihre Eltern ihre Identität verloren hätten: “Dieser Generationsschmerz trägt sich weiter. Er ist der Unterschied.”

Josa Mania-Schlegel sprach von einem “nicht artikulierbaren Groll”, der sich seiner Beobachtung nach bei ostdeutschen Nachwendekinder aufbaue ­- und sich gegen gleichaltrige im Westen Aufgewachsene richte. In Städten wie Leipzig pralle man aufeinander. “Es ist das fehlende Erbe, das fehlende Wissen der ostdeutschen Eltern, Kapital aufzubauen; vielleicht auch akademische Lücken.” Von westlich sozialisierten Menschen wünscht sich Mania-Schlegel deshalb, sich selbst kritisch zu reflektieren und anfangen zu sagen: “Ich bin Westdeutscher, ich bin privilegiert.” – “Vita-Cola trinken allein macht einen nicht zum Ostdeutschen.”

86 Prozent der #rübergemacht-Teilnehmenden sagen, Westdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile

In der Tat bringen viele der Befragten Wertschätzung gegenüber den Erfahrungen ihrer Mitbürger in Ostdeutsschland zum Ausdruck: 86 Prozent bejahten die Frage, ob Westdeutsche nach der Wiedervereinigung im Osten Vorteile hatten. In ihren Profilen unter dem Button #rübergemacht erfahrt ihr außerdem, welche Erfahrungen sie in Ostdeutschland gemacht haben, welche Vorurteile sie abgelegt haben, was ihre Herausforderungen sind und wie sie die Zukunft gestalten.

Zwei von ihnen sind auch die Polit-Referentin Karimé Diallo und Dolmetscherin Medine Yilmaz, die beim Zoom-Event berichteten, dass dort, wo Rechtsextremismus sichtbar ist, auch viel politisches Engagement auf der anderen Seite passiert, über das jedoch medial seltener berichtet wird.

Was denkt ihr? Ist ostdeutsch sein eine Frage der Herkunft? Wie können wir eine Definition schaffen, die Brücken baut und vereint? Wir freuen uns auf eure Kommentare!